Was ich in Ukrainekrieg-Diskussionen wissen sollte
Warum die EU für die russische Regierung eine Gefahr ist
14.01.2025
Wir greifen hier einige Aspekte auf, die in Diskussionen zum Ukrainekrieg häufig genannt werden,
Wir greifen hier einige Aspekte auf, die in Diskussionen zum Ukrainekrieg häufig genannt werden,
Ist die Ukraine ein souveräner Staat?
Ja. Seit 1991 ist die Ukraine ein souveräner Staat.
Warum ist es verfälschend, von einer provkativen „NATO-Osterweiterung“ zu sprechen?
„Wer dennoch insistiert, die Nato-Osterweiterung sei aufgrund ihres inhärenten Bedrohungspotenzials für Russland kein politisch feinfühliger Akt gewesen, der sei daran erinnert, dass in der Charta von Paris (1990), im Budapester Memorandum (1994) wie auch in der Nato-Russland-Grundakte (1997) das Recht der freien Bündniswahl als Teil der territorialen und politischen Integrität ehemaliger Sowjetrepubliken auch von russischer Seite explizit gebilligt worden ist. Ein letzter Einwand, wonach die genannten völkerrechtlichen Kodifikationen lediglich den Charakter von Absichtserklärungen hätten, kann mit dem Verweis pariert werden, dass Putin im Jahre der zweiten Nato-Osterweiterungs-Welle, 2004, jedem Land das Recht auf eigenständige Bündnispolitik ausdrücklich konzediert hat.“
Warum ist die Anbindung an die EU eine größere Bedrohnung für die russische Regierung als die NATO?
„Die wirkliche existentielle Bedrohung für den Kreml stellt die EU dar, nicht die NATO. Denn die Mitgliedschaft und Integration der Ukraine in die EU könnte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem Regime einen tödlichen Schlag versetzen, indem sie die Ukraine in das verwandelt, was Russland am meisten fürchtet: eine politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Alternative zu Russland selbst. Obwohl Putins Popularität unter den Russen nach wie vor hoch ist, könnte der Kreml durchaus befürchten, dass die russischen Bürger die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft jenseits der Grenze erkennen und sich eine alternative Zukunft für ihr Land wünschen könnten.“
Wann und wie wurde die demokratische Entwicklung der Ukraine verhindert?
“Nach drei Monaten gewalttätiger Auseinandersetzungen, bei denen Dutzende Demonstrierende getötet wurden, kam es zu einem Machtwechsel. Präsident Janukowitsch floh nach Russland, und es wurden Wahlen angesetzt. Kiew und die EU unterzeichneten schließlich das Assoziierungsabkommen. Doch Russland unter Präsident Wladimir Putin annektierte illegal die Krim, unterstützte einen prorussischen Aufstand im Donbass und ließ die Truppen im Februar 2022 in die Ukraine einmarschieren. Andreas Umland erklärt: ‘Die demokratische Entwicklung der Ukraine wurde wiederhergestellt, die Re-Demokratisierung nahm die Europäisierung der Ukraine wieder auf. Aber das hat eine Gegenreaktion Russlands ausgelöst. Das war unvermeidlich, zumindest unter dem Putin-Regime, denn die demokratische Entwicklung einer erfolgreichen Ukraine, die europäische Integration usw. wären zu einer Bedrohung für die innere Stabilität Russlands geworden, weil die Russen begonnen hätten, die Ukraine als Modell für die Entwicklung ihres eigenen Landes zu sehen’.”
Warum ergibt ein Angriffskrieg in Bezug auf Landeroberung keinen Sinn?
Da die Vereinten Nationen hierzu formulieren: „Keine Überlegung irgendwelcher Art, sei sie politischer, wirtschaftlicher, militärischer oder sonstiger Natur, kann als Rechtfertigung einer Aggression dienen. (…) Ein sich aus einer Aggression ergebender Gebietserwerb oder besonderer Vorteil ist nicht rechtmäßig und darf nicht als rechtmäßig anerkannt werden.“
Sieht China die Ukraine als souveränen Staat?
Ja. Der ukrainische Aussenminister Kuleba ließ sich vom chinesischen Außenminister Wang Yi bestätigen, dass China die Souveränität der Ukraine nicht in Frage stellt und bei diplomatischen Verhandlungen unterstützen würde.
Wie können wir der russischen Bevölkerung helfen, sich gegen die autokratische Regierung zu wehren?
Russische Antikriegsaktivisten und die Teile der russischen Bevölkerung, die den Krieg insgeheim ablehnt, sind darauf angewiesen, dass Ihre Anliegen im öffentlichen ausländischen Diskurs Sichtbarkeit bekommen und die ukrainische Bevölkerung notfalls militärisch durch ausländische Waffen unterstützt werden, damit die Ukraine mindestens in eine gute Verhandlungsposition gebracht werden kann. Die russische Friedensbewegung könnte unterstützt werden.
Warum wehrt sich die russische Bevölkerung nicht gegen die autokratische Regierung?
„Russland ist gesellschaftlich ganz anders als das, was wir in Europa als normal betrachten würden. Es gibt keine nennenswerte Zivilgesellschaft und die Menschen unterwerfen sich den Entscheidungen ihrer Regierung. In Europa betrachten wir die Regierung als etwas, das für uns arbeitet, obwohl wir auch erkennen, dass sie uns auch täuscht. Wir können sie nicht zwingen, das zu tun, was wir wollen, aber wir können die Menschen von der Macht verdrängen. Mit anderen Worten, wir flößen unseren Regierungen eine gewisse Angst ein – im guten Sinne des Wortes – und das weckt in ihnen den Wunsch, uns zufriedenzustellen. In Russland haben wir einen Erlöserzaren, der uns vor äußeren Feinden wie der NATO und der EU und vor inneren Feinden schützt: Homosexuelle, diejenigen, die problematische Bücher oder Lieder schreiben, diejenigen, die protestieren, dass ihre Ehemänner schon zu lange an der Front sind, und sogar diejenigen, die dazu aufrufen, noch mehr Ukrainer zu töten. Während Demokratien nach Lösungen suchen, suchen Diktaturen nach Feinden.“
Wie schätzt der russische oppositionelle Politiker Ilja Jaschin die Situation ein?
“‘wir sind mehr, und unsere Kraft besteht darin, dass der Mensch für uns im Mittelpunkt steht. Unser Humanismus ist unsere Stärke - nicht unsere Schwäche.’ Er hoffe auf ein Russland, in dem es sich frei und sicher leben lasse und das seine Nachbarn nicht bedrohe, sagte er. Die Ukraine brauche jede Art der Hilfe, dies sei dann auch eine Unterstützung für die russische Opposition.”
Was empfiehlt der ehemalige Abgeordnete der Jekaterinburger Stadtduma Leonid Volkow?
Es muss militärischen, wirtschaftlichen und politischen Druck von innen und von außen geben. “Wenn es 50 Dinge gibt, die wir tun können, müssen wir alle 50 davon tun. Wenn wir 49 tun, ist das nicht genug, denn das ist die größte Bedrohung für die Welt, die wir in 80 Jahren erlebt haben.” Seine Arbeit für die Nawalny-Stiftung, die sich für schärfere Sanktionen gegen Putins Verbündete einsetzt und die Korruption im Regime aufdeckt, wird er nicht aufgeben, obwohl er erst im März gewaltsam angegriffen wurde. Seiner Ansicht nach, sprechen zu viele Politiker zwar oft von der Notwendigkeit, sich dem russischen Präsidenten entschieden entgegen zu stellen, während sie aber gleichzeitig um Mittel zur Unterstützung der Ukraine streiten. Währenddessen leben russische Oppositionsaktivisten täglich in Gefahr, weil sie Äußerungen machen, wie diese.
Was empfiehlt der russische oppositionelle Politiker Ilja Jaschin?
“Das Wichtigste, was man für die russische Opposition tun kann, ist die Ukraine zu retten. Denn wenn Europa zulässt, dass Putin die Ukraine unterwirft, wird dies ein Schlag gegen das gesamte europäische Sicherheitssystem sein und den meisten europäischen Ländern große Probleme bereiten. Denn die ganze Sache wird nicht nur auf die Ukraine beschränkt bleiben. Appetit kommt beim Essen, und Putin wird nicht halt machen, er wird weitergehen. Die Geschichte kennt eine ganze Reihe ähnlicher Beispiele.” “Der Krieg in der Ukraine ist kein ethnischer Konflikt, sondern ein Kampf zwischen Freiheit und Tyrannei, zwischen Humanismus und Menschenfeindlichkeit. Die Frontlinie verläuft nicht nur durch die Ukraine, sondern auch durch Russland, wo Menschen inhaftiert und manchmal getötet werden. Es ist eine globale Konfrontation. Wladimir Putin ist der Anführer obskurer Kräfte. Und ich bin ein Vertreter der Kraft des Fortschritts und des Humanismus.”
https://amp.dw.com/de/ilja-jaschin-ich-will-alles-tun-um-mein-volk-zu-befreien/a-69953901Wie schätzt der russische Menschenrechtsaktivist Oleg Orlow die Situation ein?
“Überall, wo ich in Europa auftrete, rede ich von der Notwendigkeit, die Ukraine zu unterstützen, auch militärisch. Dabei spreche ich nicht für Memorial, sondern als Privatperson. Militärische Hilfe für die Ukraine ist auch Hilfe für Russlands Zukunft.” “Und wenn wir ´Nein zum Krieg´ sagen, meinen wir nicht ein Ende zu jedem Preis. Es heisst vielmehr, der Krieg darf nicht zu Putins Bedingungen enden. Denn das hiesse, die Aggression zu unterstützen: eine Befriedung des Aggressors. Das wäre kein Frieden, sondern bloss ein kurzer Waffenstillstand, auf den ein noch schlimmerer Krieg folgen würde, wenn Russland in ein paar Jahren erneut angreift.”
https://www.woz.ch/2448/russische-opposition/der-widerstand-findet-im-untergrund-statt/!58RDNM46XA37
Warum müssen Rettungswägen für den Einsatz in der Ukraine umlackiert werden?
“‘Es ist schon immer so gewesen, dass Krankenwagen, Krankenfahrzeuge, Rettungsfahrzeuge ein beliebtes Ziel der Russen sind’, sagt Aurel Sommerlad, Vorsitzender des Vereins ‘Hilfswerk Bodensee’. Das sei der Grund, weshalb ein solches Fahrzeug umlackiert werden müsse.”
Wie blockiert die russische Regierung die Energiewende in Deutschland?
“Es geht um die künftige Ausrichtung der Ukraine. Bleibt sie als souveräner Staat erhalten, der sich letztlich doch wieder auf den Weg der Demokratisierung zurückbegibt? Oder fällt sie unrettbar an Moskau zurück und erlaubt dem künftigen Präsidenten Wladimir Putin, ein neues russisches Imperium aufzubauen, dessen Macht auf dem Erdgas-Monopol beruht?”
Was hat der Ukrainekrieg mit der Gaslobby zu tun?
„Der Einfluss der Erdgaslobby ist auch heute noch stark. Das ergab eine Analyse des Vereins Lobbycontrol. Obwohl der Ukrainekrieg die Abhängigkeit von russischem Erdgas schmerzlich deutlich gemacht hat, pflegt die Gasindustrie nach wie vor enge Kontakte in die Bundesregierung.” “Die Folgen einer solchen Übermacht der Gaslobby sind laut der Energieökonomin Claudia Kemfert eine verschleppte Energiewende und hohe Preissteigerungen. ´Wir könnten heute einen 80-Prozent-Anteil erneuerbarer Energien haben, wenn die Milliardeninvestitionen in deren Ausbau statt in Erdgas geflossen wären´, sagte sie.”
Warum sympathisieren Rechtspopulisten im deutschsprachigen Raum mit der russischen Regierung?
“An dem Tag, an dem Russland in der Ukraine einmarschierte, erschien in der Schweizer ‘Weltwoche’ ein Text von Roger Köppel, Chefredakteur und gleichzeitig Mitglied des Schweizer Nationalrats. Auch für Köppel ist Putin ein leuchtendes Vorbild, und zwar deshalb, weil er ‘eine wandelnde Kriegserklärung an den Zeitgeist’, sei, ‘an die ‘Woke-‘und ‘Cancel-Culture’, der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen.’ Putin, findet Köppel, ‘entlarvt den hohlen Moralismus seiner Gegner’. Als der Text erschien, fielen in der Ukraine bereits die Bomben.”
Wie wahrscheinlich ist ein russischer Angriff mit Nuklearwaffen?
Der Historiker Timothy Snyder empfiehlt, sich nicht von Angst leiten zu lassen und die Ausgangslage rational und strategisch zu durchdenken. Er ist der Meinung, dass die Unterstützung der Ukraine die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs verringere, indem sie zeigt, dass atomare Erpressung nicht funktioniert und damit entsprechend die Wahrscheinlichkeit der atomaren Aufrüstung weltweit verringert. Zudem sollte man nicht vergessen, dass die russische Regierung nur dann argumentativ ihr Gesicht wahren kann, wenn “nur” die Truppen abgezogen werden. “Wenn Russland eine Atomwaffe einsetzt, ist das ein Eingeständnis, dass seine Armee besiegt wurde.” “In dem Moment, in dem Russland eine Atomwaffe einsetzt, werden andere Länder – inklusive jener mit überlegener Wirtschaft und Wissenschaft – ihre eigenen Atomwaffenarsenale aufbauen. Wenn das passiert, ist Russland keine Großmacht mehr, nicht einmal in den Köpfen der Russen. Das ist für die russischen Eliten der einzige unerträgliche Ausgang dieses Krieges. Er ist viel schlimmer als ein Truppenabzug aus der Ukraine – denn dafür wird es immer eine Erklärung geben. Es gibt aber keine Erklärung, die das Gefühl des Großmachtstatus wiederherstellen kann, nachdem er verloren ist.”
https://www.derstandard.at/story/2000143688270/russland-ukraine-atomkrieg-timothy-snyder-der-atomare-bluff
Der Historiker Timothy Snyder empfiehlt, sich nicht von Angst leiten zu lassen und die Ausgangslage rational und strategisch zu durchdenken. Er ist der Meinung, dass die Unterstützung der Ukraine die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs verringere, indem sie zeigt, dass atomare Erpressung nicht funktioniert und damit entsprechend die Wahrscheinlichkeit der atomaren Aufrüstung weltweit verringert. Zudem sollte man nicht vergessen, dass die russische Regierung nur dann argumentativ ihr Gesicht wahren kann, wenn “nur” die Truppen abgezogen werden. “Wenn Russland eine Atomwaffe einsetzt, ist das ein Eingeständnis, dass seine Armee besiegt wurde.” “In dem Moment, in dem Russland eine Atomwaffe einsetzt, werden andere Länder – inklusive jener mit überlegener Wirtschaft und Wissenschaft – ihre eigenen Atomwaffenarsenale aufbauen. Wenn das passiert, ist Russland keine Großmacht mehr, nicht einmal in den Köpfen der Russen. Das ist für die russischen Eliten der einzige unerträgliche Ausgang dieses Krieges. Er ist viel schlimmer als ein Truppenabzug aus der Ukraine – denn dafür wird es immer eine Erklärung geben. Es gibt aber keine Erklärung, die das Gefühl des Großmachtstatus wiederherstellen kann, nachdem er verloren ist.”
https://www.derstandard.at/story/2000143688270/russland-ukraine-atomkrieg-timothy-snyder-der-atomare-bluff
Warum hält die russische Regierung daran fest, den Ukrainekrieg fortzuführen?
Zwar sterben zahlreiche russische Soldaten, jedoch ist die Wirtschaft im Land aktuell massiv abhängig von der Kriegswirtschaft, der alles untergeordnet wird. “Die Verluste des Personals an der Front sind zudem enorm. Nach ukrainischen Schätzungen verlor Russland allein 2024 etwa 420.000 Soldaten. Doch nicht nur der Krieg fordert Opfer. „Jedes Jahr sterben in Russland mindestens 150.000 bis 200.000 Menschen an den Folgen von Alkohol, und etwa 80 Prozent davon sind Männer“, berichtete Alexey Raksha, ein ehemaliger Mitarbeiter der russischen Statistikbehörde, im Oktober 2024 gegenüber Meduza.” “Die Frage bleibt, ob Russland wirtschaftlich in der Lage ist, den Krieg fortzusetzen. Die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft könnte das Land dazu zwingen, den Konflikt mit der Ukraine fortzusetzen, da er derzeit der Hauptantrieb für das Wirtschaftswachstum ist.”